Lesung und Gespräch zu Viktor Staudt (†) am 18.9. um 19:30 Uhr, Stadtbibliothek

Fotomontage GH Staudt, Präventionsteam

RECKLINGHAUSEN - An einem tristen Tag im November 1999 warf sich der Niederländer Viktor Staudt (Fotomontage, links) in Amsterdam vor einen ICE-Zug - und überlebte schwer verletzt. Als er wieder erwachte, hatte er beide Beine verloren und saß seitdem im Rollstuhl. Da war er 30 Jahre alt. Erst allmählich stellte sich heraus, dass er schon lange am Borderline-Syndrom litt, einer seelischen Persönlichkeitsstörung, die dazu führte, dass er sich innerlich zerrissen fühlte und massive Ängste vor dem Alleinsein wie auch vor instabilen Beziehungen hatte.

Davon berichtet Staudt in seinem 2012 erschienenen Buch „Die Geschichte meines Selbstmords und wie ich das Leben wiederfand“ (Droemer, 254 S., 14,99 Euro), das ein Bestseller wurde. Von seinem tristen Leben davor, in dem er, gepeinigt von seinen Angstattacken, nur noch funktionierte. Von den Kindern, die ihm nach seinem Suzidversuch begegneten und ihn ermutigten, am Leben zu bleiben. Von der Therapeutin, die endlich die richtige Diagnose stellte und die passenden Medikamente für ihn hatte. Von den Menschen, die ihm die Hand reichten.

Am 10. September war Welttag der Suzidprävention, an dem die Hilfsorganisationen auf die wachsende Zahl Suizidgefährdeter aufmerksam machen wollen. Einen Tag vorher, am 9. September, hat das Veranstalter*innen-Team die Nachricht erhalten, dass Viktor Staudt am Wochenende gestorben ist. Er hat sich mit Medikamenten das Leben genommen.

Pfarrerin Gunhild Vestner, Leiterin der Telefonseelsorge, und Mitveranstalterin, stand in den letzten Wochen im Mailkontakt mit ihm, um die beiden Veranstaltungen zu organisieren. In der letzten Mail schrieb er von einem Umzug, der sich schwieriger als erwartet gestaltete. Vor einem Jahr war er aus seinem italienischen Dorf nach Warschau gezogen. Dort hat er sich nicht einleben können und er wollte jetzt zurück nach Italien ziehen. Zu diesen äußeren Schwierigkeiten kamen seine chronischen körperlichen und seelischen Schmerzen. In den letzten Monaten wurde für ihn sein Leben immer unerträglicher, sodass er keinen anderen Ausweg sah.

2014 hat er seine Geschichte veröffentlicht. "Mit seinem Buch hat er eine Welle ausgelöst, die das Thema Suizid aus der Tabuzone spült" (Stuttgarter Zeitung). In seinem letzten Blog-Eintrag schreibt Viktor Staudt, was wichtig im Gespräch mit suizidalen Patienten ist: "Nachdem du mit jemandem gesprochen hast, könntest du sagen: ‚Ich habe Ihnen gut zugehört.‘ Dies scheint dir vielleicht überflüssig, weil es gehört zu der Arbeit, dass du deine Patienten gut zuhörst. Klar. Also, wieso sollte man dies nochmal betonen? Weil für viele Menschen ist es gar nicht so einfach, den Schritt Richtung Psychologen zu machen, und dort ihre Geschichte erzählen. Oft hat man Angst nicht richtig verstanden, oder irgendwie nicht gehört zu werden. Also, wenn du nochmal betonst, dass du gut zugehört hast, kann dies dazu führen, dass Teil dieser Unsicherheit bei den Patienten verschwindet. Oder zumindest weniger wird."

Betroffenen hat er immer wieder Mut gemacht, über ihre Not zu reden und den begleitenden Menschen hat er immer wieder intensives Zuhören ans Herz gelegt. Darum wollen die Veranstalter*innen die Veranstaltung nicht einfach ausfallen lassen, sondern laden ein zu einem Gesprächsabend.

Zu Beginn soll das Lebenswerk von Viktor Staudt gewürdigt werden. Im Anschluss bietet das Team Gesprächsgruppen an, in denen alles ausgesprochen werden kann, was bewegt und vielleicht auch bedrückt. Die Gruppen mit 5-6 Teilnehmenden wird von einem*r Seelsorger*in begleitet werden. Die Stadtbibliothek bietet viele Ecken und Nischen, in denen die Gruppen ins Gespräch kommen können. "Das ist das, was wir jetzt tun können und auch tun müssen", sagte Vestner für das Team.

Die drei Vertreterinnen der regionalen Hilfsorganisationen (Foto rechts, v.l.n.r.:) Anna Kavena (Koordinatorin für Psychiatrie im Kreis Recklinghausen), Dorothee Trynogga, (Arbeitskreis Suizidprävention, Trauerarbeit im Gasthaus) und Pfarrerin Gunhild Vestner (Leiterin der Telefonseelsorge Recklinghausen) organisieren gemeinsam mit Bibliothekar Lukas Brückner (2.v.r) den Gesprächsabend zum Tod von Viktor Staudt und seinem Lebensthema Suizid. (GV / GH)

INFO

In Deutschland bieten zahlreiche Telefonseelsorgestellen anonyme Beratung unter 0800 1110111 oder 0800 1110222 . Die Telefonseelsorge Recklinghausen  bietet neben der telefonischen Beratung auch die Möglichkeit zum Chat.

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Die APP "Krisen-Kompass" wird gerade durch die TelefonSeelsorge entwickelt. Ausgehend von der Erfahrung, dass Reden aus der Isolation helfen kann, bietet die APP sowohl für Menschen, die suizidgefährdet sind, als auch für Menschen aus deren Umfeld, Wege aus der Isolation zurück ins Leben und kann einen Suizid verhindern.  

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