Reformations-Gottesdienst zu Karl Barth
Die Aktualität der Theologie Karl Barths als "Widerstehende Theologie"
RECKLINGHAUSEN - Karl Barth hat wie kaum ein anderer Theologie und Kirche des 20. Jahrhunderts geprägt. Die Evangelische Kirche erinnert und ehrt ihn 2019 mit einem Karl-Barth-Jahr.
Die Evangelische Altstadtgemeinde tat dies in einem Reformationsgottesdienst in der Christuskirche Recklinghausen. Pfarrer Eugen Soika und Superintendentin Katrin Göckenjan-Wessel (Foto: GH) stellten gemeinsam wichtige Zeitansagen aus Barths Theologie vor, auf die zu hören sich bis heute lohnt.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs und das "Manifest an die Kulturwelt", mit dessen Unterzeichnung 93 deutsche Intellektuelle, darunter auch Barths theologische Lehrer, im September 1914 die Kriegspolitik Kaiser Wilhelms II. unterstützten, sei für Barths theologische Entwicklung entscheidend gewesen, begann Soika. Diesen Krieg "heilig" zu nennen, "geht zutiefst gegen die biblische Botschaft und seinen Glauben".
Rückblickend habe Barth in dieser Zeit festgestellt: "Ich habe eine Götterdämmerung erlebt, als ich studierte, ... wie Religion und Wissenschaft sich restlos in 42 cm-Kanonen verwandelten ... An ihrem ethischen Versagen zeigte sich, dass auch ihre exegetischen und dogmatischen Voraussetzungen nicht in Ordnung sein könnten."
Auf der Suche nach Antworten und einer Haltung zu den brennenden Fragen seiner Zeit, studierte Barth die Bibel und konfrontierte sein Gemeinde in der kleinen Arbeiter- und Bauerngemeinde Safenwil im Aargau in der Schweiz "mit Gottes Wort und seinem Anspruch" und "mutete ihr damit eine Menge zu", so Soika.
Sein Kommentar zum Römerbrief erschien 1919 und machte ihn schlagartig in der Theologenwelt bekannt, gefolgt von einer zweiten überarbeiteten Auflage im Jahr 1922. Barth brach mit diesem Werk mit der vom Glauben an die Aufklärung und Vernunft geprägten liberalen Theologie, die die existierende bürgerliche Kultur und Moral mit dem Reich Gottes zusammen dachte und verband. Diese sei "in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges zerbrochen", zitierte Soika den Theologen.
Gott sei für Barth "der ganz Andere", der Unverfügbare, der nicht für eigene Zwecke zu gebrauchende. Menschen könnten von Gott nur etwas wissen, "weil Gott auf sie zukommt und sich mitteilt, theologisch gesprochen: weil Gott sich offenbart." Dies habe er in Jesus Christus getan, in dieser Person habe "Gott die Welt berührt", erklärte Soika.
Superintendentin Göckenjan-Wessel verwies auf die Bedeutung der "Barmer Theologischen Erklärung", die Barth federführend für die Bekennende Kirche im Widerstand gegen den Unterwerfungsanspruch der Nationalsozialisten formulierte. Darin Jesus Christus als "das eine Wort Gottes" am Anfang und im Mittelpunkt dieses Bekenntnisses, "als bewusstes Gegenbild zur Propaganda der Nationalsozialisten".
"Stellen Sie sich vor, die Synode in Wuppertal-Barmen hätte damals den Mut gehabt, auch dies zu sagen: Jesus Christus, das eine Wort Gottes, ist ein Jude gewesen", so Göckenjan-Wessel, "wäre der erkämpfte Freiraum des christlichen Bekenntnisses dann nicht viel größer gewesen? ... Wo wären wir heute, als christliche Gemeinschaft, als Gesellschaft? Wären wir wacher, bewusster, stärker im Widerstand gegen all die verdeckten und offenen antijüdischen, antisemitischen und rassistischen Angriffe auf Menschen?"
"Der liebe Gott und nicht der heilige Gott hat Hochkonjunktur", bemerkte Soika im Anschluss daran kritisch mit Blick auf die Entwicklung der Gesellschaft. Gott könne aber nur als der andere, als der fremde Gott ein wirkliches Gegenüber sein. Soika verwies in diesem Zusammenhang auf ein Zitat des Theologen Fulbert Steffensky: "Was, wenn keiner mehr die fremde Sprache der Hoffnung hütet? Was, wenn keiner mehr die Gebete kennt? Was, wenn nichts mehr die Alltäglichkeit und die Gewöhnlichkeit unterbricht, wenn nie und an keiner Stelle mehr an den Namen Gottes erinnert wird? Was, wenn Menschen ihre Lebenshoffnungen nicht mehr an die alten Geschichten knüpfen können und die Visionen der Toten keine Stelle mehr haben? ... Die säkulare Gegenwart braucht nicht die Anpassung der Kirchen, sondern ihre Fremdheit, ihre Besonderheit und ihre Klarheit." (Aus dem Band "Schwarzbrot-Spiritualität")
Die zunehmende Bedrohungslage jüdischer Gemeinden und den Anschlag auf die Synagoge in Halle vor Augen, erzähle die Theologie Barths "dagegen die Geschichte von Gott, der in Jesus Christus in die Dunkelheit der Welt hinabsteigt, um die Menschen ins Licht zu ziehen." - Alle Menschen. Denn "es kann eine Gottlosigkeit der Menschen geben, aber keine Menschenlosigkeit Gottes. Das klar und entschieden zu bezeugen, ist unser Auftrag", schloss die Superintendentin.
Die Altstadtkantorei sang unter Leitung von Kirchenmusikdirektorin Elke Cernysev Werke von Louis Lewandowski (1821-1894), einem jüdischen Komponisten, der für seine Neubelebung und Öffnung der jüdischen Liturgie im 19. Jahrhundert bekannt wurde. Nach dem Gottesdienst lud die Gemeinde zu Gespräch und Zusammensein ins Gemeindehaus nebenan ein. (GH)