"Kann Kirche Demokratie?" - Pfarrkonferenz mit Arnd Henze
"Die einladen, die unsere Zumutung sind!"
RECKLINGHAUSEN - „Warum sind treue Kirchgänger besonders anfällig für autoritäre, nationalistische und ausgrenzende Einstellungen?“, fragt Arnd Henze, ehemaliger Fernsehkorrespondent im ARD Hauptstadtstudio mit Schwerpunkt Außenpolitik, in seinem 2019 erschienenen Buch mit dem Titel „Kann Kirche Demokratie? Wir Protestanten im Stresstest“.
Im Klappentext seines Buches bringt Henze seine Hoffnung in zwei Sätzen auf den Punkt: „… bin ich aber überzeugt, dass die gegenwärtige Bewährungskrise für die Demokratie auch eine zweite Chance für den Protestantismus bedeutet. Die Chance nämlich, zum ersten Mal auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen - oder genauer: zu kämpfen.“ Seine Grundüberzeugung ist, „dass die Kirchen einen unverzichtbaren und unverwechselbaren Beitrag zur Verteidigung der Demokratie leisten können … Sie entscheiden jeden Tag neu, ob sie Teil des Problems oder der Lösung sind - in Deutschland, in Europa und im globalen Rahmen.“ (S. 31).
Auf der regionalen Pfarrkonferenz stieg Henze als Referent allerdings mit der kritischen Feststellung ein, dass die aktuell stattfindende „Kirchenwahl“ der Kirchenvorstände resp. Presbyter*innen in den meisten Kirchengemeinden im Grunde keine demokratische Wahl mehr sei, weil es einfach nicht mehr genug Personen gebe, die sich zur Wahl stellten. „Hat die presbyterial-synodal verfasste Kirche dann noch überhaupt eine Zukunft? Oder ist die Presbyterwahl nur noch Formsache?“, fragte Henze.
Seine Recherche auf den Homepages vieler Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen brachte Henze zu einer zweiten, kritischen Feststellung: Die fehlende selbstkritische „Erinnerungskultur“ hinsichtlich der oft unrühmlichen Geschichte vieler Kirchengemeinden in der Zeit des Nationalsozialismus. Der Name des berühmten Theologen Dietrich Bonhoeffer werde, so Henze, zwar gerne auch für kirchliche Gebäude oder Schulen verwendet, aber leider oft in einer trivialen Form der Verehrung, kaum in Form kritischer Auseinandersetzung. An ihre Stelle trete mittels kitschiger Postkarten- und Kalendermotive eine zeit- und inhaltslose Verfügbarkeit.
Diese Tatsache korrespondiert mit der Beobachtung Henzes, dass sowohl die politische Rechte wie die AfD in Deutschland als auch die Evangelikalen in den USA den Theologen Bonhoeffer durch seinen Weg in den bewaffneten Widerstand zum heroischen Vorbild erklärt und vereinnahmt haben.
Welches politisch rechte Potential damit aktiviert wurde, beschreibt Henze anhand der 2009 erschienenen Bonhoeffer-Biografie des Autors Eric Metaxas mit dem bezeichnenden Titel „Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet“, der den Theologen „als einen gottesfürchtigen Außenseiter, als einen konservativen Evangelikalen inszeniert, der in der Krise bereit war, die ultimative Konfrontation mit dem Bösen zu suchen und dafür sein Leben zu opfern“, so Henze.
Mit einer Auflage von über 1,5 Millionen sei dies „eines der wirkungsvollsten theologischen Bücher“ für die religiösen Rechten mit der Botschaft, „im entscheidenden Moment zu handeln und sich die Hände schmutzig zu machen“, so Henze. Der Schlüsselbegriff dafür sei bei Metaxas der „Bonhoeffer-Moment“.
Neben den tagespolitischen Aktualisierungen dieser Botschaft auf evangelikalen Kongressen habe Metaxas diese Botschaft immer wieder polemisch auf die Obama-Regierung angewandt und damit versucht, die hoch militarisierte und gewalttätige „Religiöse Rechte“ zum Widerstand gegen den angeblichen Verfall von Sitte und Moral in den USA zu mobilisieren. Von da an sei alles, was im Kulturkampf gegen die „liberalen Eliten“ gerade aktuell war, ein „Bonhoeffer-Moment“ gewesen.
So auch die Präsidentenwahl Donald Trumps. Metaxas habe Trump als „Werkzeug gegen das ultimativ Böse“ inszeniert, seine Gegenkandidatin Hillary Clinton dagegen als „Hitlery Clinton“ diffamierte und verteufelte.
Auch die völkisch-nationale AfD in Deutschland habe Bonhoeffer längst für sich entdeckt, der auf den ersten Blick gut zur bürgerlichen Fassade der Partei passe, beschreibt Henze. Deren Vereinnahmung Bonhoeffers diene aber noch einem zweiten Ziel: der Spaltung der Evangelischen Kirche mit ihrem liberalen „rot-grünen Zeitgeist“. Das geschehe durch das Benutzen des Bonhoeffer’schen Widerstandsbegriffs ohne Parteinahme für die Opfer systematischer staatlicher Gewalt, wodurch wie auch durch das Ausblenden seiner ökumenischen Offenheit, die Bonhoeffer immer auch als Gegenmittel zu jeglichem völkischen und nationalistischen Denken verstanden hat.
Auch „wir“ Protestanten, „haben Bonhoeffer den religiösen Rechten kampflos überlassen“, konstatierte Henze „und ihn als Säulenheiligen beliebig gemacht“. Da die AfD gnadenlos die Lücken in der Erinnerungskultur nutze, sei es seiner Meinung nach ein Fehler gewesen, die AfD inhaltlich nicht auf dem Kirchentag in Dortmund zu Wort kommen zu lassen, weil dadurch das „Vakuum“ nicht kleiner geworden sei, in das die Rechten hineinstießen.
„Wer dem entgegentreten will“, so Henze, „sollte mit dem Eingeständnis beginnen, dass die viel beschworene Erinnerungskultur in der Evangelischen Kirche sehr viel brüchiger ist, als es in Sonntagsreden immer wieder behauptet wird“. So sei schon in den ersten Nachkriegsjahren die Geschichte der Bekennenden Kirche verklärt und Widersprüche geglättet worden. „Das toxische Erbe des Deutschnationalen und Antidemokratischen in den frühen Jahren der Bundesrepublik wird bis heute weitgehend verdrängt“, betonte Henze.
Angesichts des bevorstehenden 75. Jahrestags der Ermordung Bonhoeffers am 9. April 2020 sei es auf diesem Hintergrund eine große Herausforderung, den Theologen vom „kitschigen Zuckerguss“ zu befreien, ihn als „Zumutung“ in den aktuellen ethischen Auseinandersetzungen der Gegenwart zu entdecken und sich deshalb immer auf die Seite der Opfer stellen, wenn der Staat versage.
Es käme also, so Henze, darauf an, sich im Sinne Bonhoeffers „auf einen ständigen Lernprozess“ einzulassen. Dafür einerseits geschützte Räume anzubieten, in denen auch miteinander gestritten werden könne und andererseits dort gezielt in die Debatten hineinzugehen, in denen die religiösen und politischen Rechten ihre Deutungshoheit beanspruchten.
Der „Narrativ des Gelingens“ müsse gegenüber dem „Narrativ des Scheiterns“, den die Rechten für sich entdeckt hätten, kämpferisch erzählt werden. Vielleicht helfe dabei auch ein biblischer Vor-Satz wie „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ oder der Satz von Hans Albers „Glaube heißt, immer mehr zu hoffen, als es die Umstände zulassen.“ GH (Foto: uka)