Trialog in der Synagoge
Am Vortag des Gedenkens der Befreiung des KZ Auschwitz
RECKLINGHAUSEN - Es ist keine Sache, die Stadien füllen würde. Aber angesichts der zunehmenden Verrohung der Gesellschaft und des wachsenden Antisemitismus wichtiger denn je: das Gespräch zwischen Juden, Christen und Muslimen.
Ein „Trialog“ der drei Religionen, die sich auf den einen Gott berufen und ihre Geschichte mit ihm, die mit der Schöpfungsgeschichte beginnt. Sie bezeugen Abraham, den „Vater des Glaubens“, als gemeinsame Gründergestalt und dessen Söhne Isaak und Ismael als Repräsentanten der aus ihren Familienstammbäumen entstandenen Glaubensrichtungen Christentum und Islam.
Einen Tag vor dem Gedenken an die Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren hat die jüdische Kultusgemeinde in Recklinghausen zum Trialog mit ihren Geschwisterreligionen in die Synagoge eingeladen. Anlass dafür war die großzügige Spende vieler Bürgerinnen und Bürger der Stadt, welche die Anfertigung einer neuen Tora-Rolle möglich gemacht hat. In einigen Wochen soll das kostbare Werkstück seinen zentralen Platz in der Synagoge und im jüdischen Gottesdienst bekommen.
Bürgermeister Christoph Tesche hob in seinem Grußwort die Wichtigkeit dieses Trialogs für die Stadtgemeinde Recklinghausen insbesondere angesichts des zunehmenden Antisemitismus und der Bedrohung von bürgerschaftlichem Engagement in der Gesellschaft hervor und lobte die existierenden Netzwerke, Kooperationen und Partnerschaften.
Propst Jürgen Quante meditierte in seiner Ansprache über die Wirkungskraft des Wortes Gottes, das Leben schafft und im Prolog des Johannesevangeliums mit Blick auf den Juden Jesus Christus eine nicht lösbare Verbindung zwischen Juden und Christen schafft.
Superintendentin Katrin Göckenjan-Wessel begann ihren mit Quinte abgestimmten Vortrag mit einem Bekenntnis: „Für Christ*innen beginnt die Heilige Schrift mit der Thora. Wir können das nicht deutlich genug sagen - zumal heute, am Tag vor dem Gedenken des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz.“
Streiflichtartig benannte sie einige markante Versuche falscher Zuschreibungen, die insbesondere seit der Erklärung des Christentums zur offiziellen Religion des Staates durch Kaiser Konstantin für Juden und Jüdinnen lebensgefährlich werden konnten. „Wir wissen heute: Diese ‚falsche Brille‘ war eine entscheidende Quelle für den Wahn, die Juden, Gottes erwähltes Volk, auslöschen zu wollen“, so die Superintendentin.
Das Alte oder Erste Testament sei der „Wahrheitsraum“ (Zitat: Jürgen Crüsemann) für das Neue oder das Zweite Testament. „In Jesus bewahrheitet sich, bewährt sich, was in der Thora und in den Propheten gesagt ist“, sagte Göckenjan-Wessel und ergänzte: „Es gibt kein Christentum ohne das Judentum. Die Thora ist dafür ein Zeichen. Und ein Geschenk. Ein Grund zur Freude. Ein Grund zum Staunen über Gottes Reichtum an Weisheit, Erkenntnis und Liebe. Ein Auftrag, weiter zu lernen. Und öffentlich zu widerstehen, wenn Menschen absichtlich oder nicht Trennung, Abwertung und Hass predigen.“
An der hohen Wertschätzung von Judentum und Christentum ließ auch Hodscha Erdinc Ergün aufgrund seiner Annahme, dass Thora, Bibel und Koran Offenbarungen des einen Gottes seien, keinen Zweifel und verdeutlichte die bleibende Verbindung mit prägnanten Zitaten aus dem Koran.
In der anschließenden Diskussionsrunde konnten sich auch die Zuhörer*innen mit Fragen und Statements einbringen. Manch eine Fragestellung führte aufgrund ihrer Spontaneität zu Mißverständnissen oder aufgrund ihrer Geschlossenheit zu dem Punkt, den Göckenjan-Wessel benannte: „Ein großes Problem ist das Rechthabenwollen“. Wie überall, wo Neues beginnt, gilt auch hier: Vertrauen muss erst noch geschaffen werden. GH